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Umweltfragen: Nature writing und Öko-Roman

Noch einmal, eh’ es Frühling wurde, kam der grosse Nebel, der in jedem Herbst und Winter zu verschiedenen Zeiten in wechselnder Höhe die Graue March in zwei Hälften trennt.»

Meinrad Inglin: Die Graue March (1935)

Keiner lässt uns so eintauchen in die karge (Innerschweizer) Bergwelt wie Meinrad Inglin, wobei er die Grenzen zwischen Zivilisation und Wildnis, zwischen Mensch und Naturgewalten nuancenreich auslotet. Mit Urwang (1954) erschien einer der ersten ökologisch engagierten Romane der Schweiz. Der Kampf eines Bergtals, das in den Fluten eines Stausees versinken soll, fesselt auch heute noch – ein Warnrufe, lange bevor es den Begriff Anthropozän überhaupt gab. Inglin, ein «Grüner avant la lettre», hat sich in seinen Schriften vielfältig für die Natur eingesetzt – die er als Jäger und Wanderer durchstreifte und in- und auswendig kannte. Sein Blick auf Natur, Landschaft, Umwelt – das macht ihn für unsere Gegenwart so spannend und lesenswert.

Natur in Sprache verwandeln

Wie zeitgenössisch, wie aktuell ein Werk sein kann, zeigt sich unter anderem an seinen Anknüpfungspunkten und Schnittmengen mit laufenden Debatten und Strömungen. Hat uns der Dichter noch etwas zu sagen? Keine Frage, Inglin wäre, würde er heute leben und schreiben, ein Kandidat für den Deutschen Nature Writing Preis. Und wer weiss, vielleicht würde in den Buchhandlungen einige seiner Texte mit einem verkaufsfördernden Sticker «nature writing» versehen, etwa Der Lebhag, eine Art Biodiversitäts-Fabel, oder die sommerschwülen Szenen am Ufer von Die entzauberte Insel, wo man als Leserin, Leser selbst barfuss mitten im Wasser zu stehen meint und fasziniert die Hechte, Barsche, Gründel und Hasel beobachtet. Vielleicht würden Inglins Werke neben den Büchern  des derzeit gefeierten Robert MacFarlane ausliegen – ein Bruder im Geiste, auch er ein Wanderer, Naturerkunder, Schriftsteller, der so wunderbare Werke wie «Alte Wege» und «Karte der Wildnis» verfasst hat.
Gerade in den Naturschilderungen zeigt sich, wie unglaublich modern Inglins Prosa ist, sein Vokabular ist eine wahre Fundgrube. Denn Landschaft, Natur, Umwelt begrifflich differenziert, atmosphärisch zu beschreiben, ist eine hohe Kunst. Nature Writing zeigt, wie es gelingen kann, Natur in Sprache zu verwandeln. Nuancierte Beschreibungen, wie sie eben die Tradition des nature writing pflegt, die übrigens weit ins 19. Jahrhundert zurück reicht, verleihen uns die Fähigkeit Landschaften richtig zu ´lesen`, aufmerksam, achtsam wahrzunehmen. Und Inglin ist darin einer der Grossen.

Die verlorenen Wörter

Gerade wenn es um Naturbeschreibung geht, hat Inglin ein gigantisches Vokabular zusammengetragen, das wir grösstenteils gar nicht mehr aktiv im Wortschatz führen. Umso wichtiger ist es, dass diese «verlorenen Wörter» in seinen Texten entdeckt werden können. Denn wenn die Begriffe, die exakten und spezifischen Wörter, Ausdrücke und Beschreibungen für Orte, Landschaft, Naturphänomene, Flora und Fauna aus der Literatur, den Wörterbüchern verschwinden und nicht mehr verwendet werden, dann werden sie unbedeutend. Sie verschwinden nicht nur aus unserer Sprache. Sondern sie verschwinden auch aus unserem Bewusstsein, sie hören in gewisser Weise auf zu existieren. Wird mit dieser Entwicklung, wie Ludwig Fischer meint, unser so oft rücksichtsloser Umgang mit der Natur sogar sprachlich bestätigt und legitimiert? Jürgen Goldstein stellt die Frage sogar noch schärfer: »Können wir es uns leisten, gegenüber einer Wirklichkeit sprachlos zu werden, von der wir elementar abhängen?«. Genau deshalb könnte Inglin, dieser tiefgründige und feinfühlige Vermesser von Berg- und Voralpenlandschaften, eine grosse Quelle der Inspiration sein, ein Anstoss zu einer Debatte – bis hinein ins Politische.

Ökologisch engagierte Literatur

Auch der Öko-Roman ist ein Label, das zu Inglin passt – selbst wenn er und seine zeitgenössische Leserschaft es nicht benutzen haben, weil es noch gar nicht existierte. Meinrad Inglin als «Wegbereiter einer ökologischen Literatur», wie Eva Wiegmann 2011 schrieb? Sicher ist, dass Inglin ganz bewusst mit Feder und Tinte in den Kampf gezogen ist, gegen Naturvernichtung, gegen die Zerstörung von bisher unverehrten, ursprünglichen Landschaften im Zuge einer rasanten industriellen und verkehrstechnischen Entwicklung der 1950er Jahre. In Urwang (1954) schildert er den Kampf einer Talgemeinschaft gegen ein Staudammprojekt der Wirtschaftswunderjahre und in eindrücklichen Szenen wird der brutale Einsatz von Baumaschinen gegen eine ursprüngliche Landschaft mit Bergahorn und Frauenschuh geschildert.  Der Roman war Inglins erklärter Beitrag zum Abstimmungskampf rund um die ökologisch ausgerichtete «Rheinau-Initiative», er wollte unbedingt, dass der Roman vor dem Urnengang im Dezember 1954 erscheinen sollte und hat parallel dazu in Zeitungsartikeln Position bezogen. Indem er vorführt, dass Literaten sich engagieren können  – eine Rolle, die gerade wieder heiss und kontrovers debattiert wird – erscheint Inglin als Schriftsteller, der uns noch viel zu sagen hat.

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