Der Talkessel von Schwyz

Das Tal von Ingoldau bildet einen weiten Kessel, der nur auf der Westseite gegen den See hin offen liegt. Der scheinbar zusammenhängende, hufeisenförmige Wall, der jedoch aus verschiedenen waldreichen Vorgebirgszügen besteht, hebt sich im Osten unvermittelt zu einer kegelförmigen Höhe, die unter dem Namen ‹Ingoldauer Rothorn› bekannt ist. In der Mitte zwischen See und Berg liegt das Dorf Ingoldau. Die Sonne trifft es spät, denn das Rothorn wirft am frühen Morgen seinen Riesenschatten über den ganzen Talkessel hin bis an das Seeufer. Die im romanischen Stil gebaute katholische Pfarrkirche erdrückt mit gewaltigen Flanken die bescheidenen Nachbarbauten.»

Meinrad Inglin: Die Welt in Ingoldau (1922)

Der Talkessel von Schwyz mit den umliegenden Höhenzügen ist das Zentrum der Welt Meinrad Inglins. Nur selten hat er in Leben und Werk diesen Bannkreis überschritten. Das Dorf mit seinen Häusern, Strassen und Plätzen ist Schauplatz der prägenden Kindheitseindrücke, die ersten Streifzüge in die nähere Umgebung bringen den Kontakt mit der bewohnten und bebauten Landschaft, und in der «Wildnis» der Bergwälder erkennt der Heranwachsende «Schritt für Schritt seine Traumlandschaft».

Der Grenzbereich zwischen dem fruchtbaren Talboden und dem Hochgebirge, diese «graue March» zwischen Vegetation und Kristall, zwischen Chaos und Ordnung scheint Inglin in besonderem Mass zu entsprechen. Das mythische Hinterland bietet ihm wie manchen seiner Figuren auch eine Rückzugsmöglichkeit aus den einengenden Ordnungen der Zeit; die Knaben, die in Güldramont ein Land entdecken wollen, «das auf der Karte nur ein weisser Fleck ist», sind in dieser Hinsicht genauso Selbstporträts wie Peter im Grand Hotel Excelsior, wenn er der überlebten Zivilisation den Rücken kehren will: «Da hinten, in den Wäldern, auf den Alpen, kann man weiter von Europa entfernt sein als auf einer Südseeinsel.» Swit in Jugend eines Volkes, der Wanderer auf dem Heimweg und gewissermassen auch der Major in Urwang verlassen emporsteigend das mangelhafte Diesseits; auf die Flucht in die Fremde, den anderen Ausweg aus der «peinlich eingeteilten alten Welt der Zahlen und Vorurteile», hat Inglin schon in jungen Jahren verzichtet.

Natürlich gibt es in Inglins Werk auch andere Orte der Handlung, Berlin und den Ostseestrand, die er auf Verlagssuche kennengelernt hat, seinen wichtigsten Studienort Bern mit Aare und Münster, die militärischen Quartiere vom Tessin bis zum Jura und, als Hauptschauplatz des Schweizerspiegels, Zürich, «die schönste Schweizerstadt», die Heimat seiner Frau Bettina. Aber immer wieder kehrt er nach Schwyz zurück, mag es nun Erlenbüel heissen oder Ingoldau nach seinem eigenen Namen und den benachbarten Schnellzugstationen: «…von der Spitze des Rothorns steil herabfallend, von den seitlichen Höhenzügen sanft gewellt und nach Westen getragen, im Westen von der quer aus dem See aufragenden hintersten Kette noch einmal breit emporgerafft und geschlossen, so ruhte der beglückende Kreis des heimatlichen Horizontes auf der blauen Unendlichkeit.»

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Die Welt in Ingoldau (1922)

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