Ehrungen und Existenzkampf
Was soll man zu einem Mann sagen, der als anerkannnter Schriftsteller, Träger des grossen Schillerpreises der Schweizerischen Schillerstiftung, Ehrendoktor der Universität Zürich, im Jahre 1950 aus dem inländischen Absatz seiner Bücher Fr. 497.- verdient, vom Jahre 1951 noch weniger zu erwarten und seit Jahren aus Deutschland kein Honorar mehr bezogen hat, der dafür sein bescheidenes Kapital aufbraucht, immer mehr mit den Einnahmen seiner Frau aus Violinstunden rechnen muss und sich trotz alledem weiterhin aufs Bücherschreiben versteift?»
Vom Skandal, den die Welt in Ingoldau in Schwyz auslöst, bis zum Innerschweizer Kulturpreis ist es ein weiter Weg. 1922 distanziert sich Schwyz von seinem Dichter, nicht nur, weil Die Welt in Ingoldau als Schlüsselroman missverstanden wird, sondern vor allem, weil die Kirche daran Anstoss nimmt. Das Buch wird im Dorf nicht mehr verkauft und sogar verbrannt, und der Autor muss vor den Steinwürfen aufgebrachter Bauern nach Zürich flüchten. Obwohl sich die Wogen bald wieder glätten, bleibt doch eine gewisse Reserve auf beiden Seiten über Jahrzehnte hinweg spürbar.
Ausserhalb von Schwyz jedoch findet die Welt in Ingoldau Anerkennung, und in langsamer, aber stetiger Folge entstehen die weiteren Werke, von denen ihm das Grand Hotel Excelsior 1928 mit vier Auflagen innert weniger Monate erstmals auch einen sichtbaren Erfolg und dazu einen Preis der Schweizerischen Schillerstiftung einbringt. Von seinen Büchern leben kann er freilich nach wie vor nicht, und seine Position im Dorf bleibt ungefestigt: «Ein Schriftsteller gilt in Schwyz als ein merkwürdiger, höchst verdächtiger und unnützer Geselle, das habe ich hundertmal erfahren.»
Er wohnt weiterhin im Haus der Tante, die ihm auch über ihren Tod hinaus das Wohnrecht im «Grund» sichert; ohne ihre jahrelange Unterstützung und ohne die Einkünfte seiner Frau aus dem Violinunterricht hätte er auch nach dem Schweizerspiegel und als Dichter von unbestrittener Bedeutung nicht existieren können. «Man muss leidenschaftlich darauf versessen sein, um die unbequemen Folgen in Kauf zu nehmen, die in der Regel damit verbunden sind», sagt Inglin 1948 bei der Verleihung des Grossen Schillerpreises über das Schreiben: «Misserfolge zum Beispiel, die den Zweiflern recht geben und die Leistung ganzer Jahre vergeblich erscheinen lassen; lächerlich geringe Einnahmen, die der Hartnäckigkeit und Dauer der Arbeit in keiner Weise entsprechen; das Befremden tüchtiger Bürger, die über eine derart ungesicherte Existenz eines talentierten Mitbürgers nur den Kopf schütteln können. Man arbeitet trotzdem weiter, nur darauf bedacht, gute und wenn möglich immer bessere Bücher zu schreiben, man verschmäht in diesem Hochmut billige Erfolge, blickt auf grosse Vorbilder und ist mit seiner eigenen Leistung nur selten ganz zufrieden.»
Jetzt endlich, zum Schillerpreis, gratuliert auch der Kanton Schwyz offiziell, und im gleichen Jahr erhält Inglin von der Universität Zürich die Ehrendoktorwürde, was ihm nach den Schwierigkeiten seines Bildungsgangs eine besondere Genugtuung bereitet und ihm ausserdem in seiner titelbewussten Umgebung, wo er jahrelang als «Herr Oberleutnant» angesprochen worden war, zu einer gemässeren Anrede verhilft.
Über dreissig Jahre nach Ingoldau entschliesst sich die Schwyzer Regierung, Inglins 60. Geburtstag im Rathaus zu feiern, wo er mit dem neu geschaffenen «Kulturpreis der Innerschweiz» geehrt wird, und weitere fünfzehn Jahre später nimmt die Bevölkerung von Schwyz zusammen mit dem Dichter teil an der festlichen Einweihung des Inglin-Brunnens.