Der Zweite Weltkrieg
Sechs Jahre lang bin ich durch den Militärdienst zu meiner Qual immer wieder aus meiner inneren und äusseren Bahn geworfen worden. Ich habe mir vom Zeitverlauf auch sonst nichts erspart und lese jetzt mit Grauen die Nürnberger Berichte. In Leipzig sind rund 8000 Bände von mir verbrannt, darunter Restauflagen von Büchern, die, wer weiss es, vielleicht gar nicht mehr auferstehen werden. Mein Verlag scheint nicht mehr zu existieren, die verantwortlichen Leiter, zum Glück keine Nazis, sind wie verschwunden, und die Honorare, die mein einziges, nicht leicht zu entbehrendes Einkommen waren, sind längst versiegt.»

Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs trifft Inglin in einem Augenblick, der vom Künstlerischen und Privaten her zu den schönsten Hoffnungen berechtigt hätte: Das Erscheinen des Schweizerspiegels (das für Staackmann übrigens ein Wagnis war und vom deutschen Propagandaministerium ungern gesehen wurde) hatte seine Stellung innerhalb der deutschsprachigen Literatur befestigt, und die Heirat mit Bettina Zweifel war nach dem Tod der Tante Abegg, die auf einer katholischen Trauung bestanden hatte, endlich möglich geworden.
Die Voraussetzungen für ein stetiges Arbeiten im entspannten Feld scheinen erreicht, als der erneute Aktivdienst jeden grösseren Plan verunmöglicht. «Natürlich werde ich auch diese unerwarteten neuen Dienste so wenig ohne Gewinn absolvieren wie die von 1914-18, aber ich habe nicht mehr so viel Zeit zu vergeuden wie damals und fürchte, mehr zu verlieren als zu gewinnen. Ich habe einen Zuwachs an so robusten Erlebnissen gar nicht nötig», notiert er in seinem Tagebuch, und er könne unter dem Druck der Umstände «nur noch kurze Geschichten planen und ausführen».
Ein grosser Teil von Inglins Erzählungen entsteht in dieser Zeit, viele, die in den Umkreis des Militärs gehören, aber auch solche mit völlig anderer Thematik wie Die Furggel. Ein geplanter Zyklus von Internierten-Geschichten (Inglin ist zunächst verantwortlicher Leiter eines Franzosen- und dann eines Polenlagers) kommt nicht zur Ausführung.
Inglins militärische Biographie dieser Zeit dürfte bis in Einzelheiten hinein derjenigen von Jakob Leuenberger im Wanderer auf dem Heimweg entsprechen, der seinem militärdienstunwilligen Enkel die damalige Situation seiner Generation schildert: «…an den Grenzen lösten die Verbände einander im Wachtdienst ab und im Hinterland richteten sich alle zur Verteidigung ein, auch wir älteren Jahrgänge; wir bauten Wege, Festungen, Hindernisse, Tankfallen, Bunker, wir lernten aus Bunkern kämpfen und Bunker verteidigen, wir besuchten Spezialkurse, bewachten Eisenbahnlinien, patrouillierten durch Tunnels, kletterten in den Brücken herum und kontrollierten die Minenkästen, wir froren, schwitzten, fluchten und lachten, und wenn wir ein paar Wochen auf Pikett zuhause gewesen waren, traten wir alle doch immer wieder an, wir blieben jung, frisch, lebenslustig, wir hielten Kameradschaft und wollten uns, unser Land, unsere Unabhängigkeit unter gar keinen Umständen preisgeben.»
Im Dienste dieser Unabhängigkeit hat Inglin noch im Februar 1940 für das Auslandschweizer-Werk der Neuen Helvetischen Gesellschaft jene Fahrt zu den Schweizer Kolonien verschiedener deutscher Städte unternommen, über die er unter dem Titel «Missglückte Reise durch Deutschland» berichtet und wo das Fieber einer beginnenden lebensgefährlichen Lungenentzündung seinen ohnehin unbestechlichen Blick für die unheimliche Gegenwart zusätzlich schärft.