‹Alles in mir heisst: Du!› Meinrad und Bettina Inglin. Der Briefwechsel (2009)
Diese Briefe dokumentieren die Geschichte der ungewöhnlichen Partnerschaft zwischen dem Schweizer Schriftsteller Meinrad Inglin und seiner Lebenspartnerin Bettina Inglin-Zweifel. Zwanzig Jahre lang lebten die beiden getrennt, die Beziehung durchlief eine ernsthafte Krise. Die Schwierigkeiten führten jedoch nicht zur Trennung, im Gegenteil: Die Beziehung mündete in eine noch rund dreißig Jahre andauernde harmonische Ehe. Eine Neuentdeckung ist sicherlich die intensive und engagierte Sprache in den Briefen von Bettina Inglin- Zweifel. Ihre Phantasie und ihr Ideenreichtum bedeuteten ein Geschenk für den Schriftsteller. Die vorliegende erste Edition enthält eine Auswahl von 264 Briefen und ist mit zahlreichen Fotos und Faksimiles ausgestattet. Der Band spiegelt also nicht nur den schriftstellerischen Werdegang Inglins, er macht auch das literarisch-künstlerische Leben Zürichs und der Schweiz in den zwanziger bis vierziger Jahren sinnlich erfahrbar.
Herausgegeben von Marzena Gorecka
464 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
September 2009
SFr. 38.–, 42.– €
sofort lieferbar
978-3-85791-668-7
Leseprobe
Montag, Mitternacht.
Meinrad, Meinrad!!
Fühlst Du es nicht, wie sehr ich leide? Wie schwer, wie wuchtig es auf mir drückt? Fühlst Du es nicht, dass ich wie mit zerbrochenen Gliedern daliege? Dass es mich mitten zum Schlaf herausgerissen hat? Dass ich am liebsten laut in alle Stille der schlafenden Welt hinaus schreien möchte? Was käme da zu mir zurück? Der Schmerzensschrei einer wunden Seele!
Meinrad, Meinrad! Fühlst Du, hörst Du mich nicht? Oder hat Dein Schrei mich geweckt?
Meinrad!!
Wo kann ich mich anklammern? Ringsum gähnende Einsamkeit!
Fühltest Du gestern während des Tages nichts? Konntest Du mit Deinen Kameraden fröhlich sein?
Fühltest Du nicht, wie mein Herz sich wand, wenn es mit Menschen reden & lächeln musste? Wie es mich immer wieder zu Minuten des Alleinseins zwang, um in mir drin aufzuzucken & mich immer von Neuem wieder leiden zu machen?
Fühltest Du nicht, wie es mich vor einer halben Stunde zum tiefsten Schlaf herausriss & anfing, auf meiner armen zerquälten Seele herumzuhämmern?
Meinrad!!
Und in sieben Stunden beginnt der Tag von Neuem & ich muss wiederum den Menschen ein Lächeln zeigen, ein verzweifeltes Lächeln! Ich muss Stunden geben & fröhlich sein mit meinen Kindern; ich muss zu Schaichet und den dritten Satz eines Konzertes spielen, ich muss für das Sommerfest proben & muss allüberall glücklich scheinen! Spüren die Menschen die Hilfeschreie der Seele nicht?
Meinrad!
– – –
¼ vor 1.
Ist es möglich? Es war mir, als hörte ich vorhin Schwalben vorbei zieh’n. Ist dies möglich? Der einzige Ruf eines lebenden Wesens! Wenn die Menschen einem verlassen, bleiben immer noch die Vögel seiner Sehnsucht. Oh Schwalben, nehmt meine Seele mit! Die Trennung fiele mir nicht schwer!
Meinrad!!
Ist dies nun die Liebe?
Ist dies alles, was sie einem bringt?
Und kann die Liebe einem sagen: Du hast keinen Glauben an mich? Und kann die Liebe so sein, dass sie selbstisch macht, dass sie: nur ich, denken lässt? Wo bleibt die: alles bezwingende Liebe?
Meinrad!
Warum warst Du so hart? Spürst, fühlst Du denn nicht, dass Du Dein Leben nicht mehr allein lebst?
Fühlst Du gar nichts?
Meinrad!